Ich bewege nicht nicht oft im öffentlichen Raum und wenn, dann meide ich aus anderen Gründen Menschengedränge und Anlässe, die solche verursachen können. Ich benutze abgesehen von Trams auch kaum öffentliche Verkehrsmittel.
Sexuelle Belästigung erfahre ich kaum mehr, kenne sie fast nur noch aus Erzählungen von Freundinnen.
Das letzte Mal, an dem ich (sexuell) belästigt wurde war am 22. Dezember 2015. Dafür gleich zweimal am selben Abend. Doch davon später.
Es wird zur Zeit viel über unsere Werte und ,dass bei uns Frauen respektiert werden diskutiert. Es entsteht der Eindruck, dass es bevor dunkelhäutige Flüchtlinge zu uns kamen, keine sexuelle Belästigung von Frauen gegeben hätte. Dem ist nicht so.
Meiner ersten sexuellen Belästigung ging eine Verletzung der sexuellen Integrität voraus. Ich wurde mit 13 vergewaltigt. Von einem Ausländer. Im Ausland. Genauer gesagt, an einer Fasnacht im grenznahen Deutschland von einem jungen deutschen Mann.
Die Anhörung durch die Polizei war entwürdigend. Der Täter wurde gefasst. Ob er verurteilt wurde, weiss ich bis heute nicht. Als ich 10 Jahren später für mich die Geschichte aufarbeitete, fragte ich beim damals zuständigen Gericht an. Die Akten waren schon vernichtet.
Über den Vorfall wurde in meinem strengen katholischen Elternhaus nicht gesprochen. Ein Jahr später wurde ich an einer Fasnacht auf dem Heimweg von einem älteren Mann aus dem Dorf sexuell belästigt. Ich stiess ihn empört zurück, worauf er meinte: „Brauchst Dich nicht so anzustellen. Du magst das ja scheinbar.“ Und dann kam noch so an Spruch in die Richtung „wenn Du es schon mit einem von da drüben machst, brauchst Du Dich hier nicht zu zieren“.
In den Augen gewisser männlicher Dorfbewohner war ich mit 14 Jahren ein Flittchen, weil ich Opfer sexualisierter Gewalt war. Mit diesen Werten bin ich aufgewachsen.
Später arbeitete ich im Gastgewerbe, wo man in gewissen Lokalen durchaus erwartete, dass ich Männern noch mehr entgegen zu kommen habe, als bloss das übliche Gegrapsche zu dulden. Nur ein Chef wagte es einem, der mich dauernd versuchte anzufassen oder es auch tat, Hausverbot zu erteilen. Ich erinnere mich gut daran, denn dieser Mann warf in seiner Wut einen Glasaschenbecher nach,der mich glücklicherweise verfehlte.
Als ich in den 80er Jahren in die Sexarbeit einstieg, lernte ich als erstes: „Erst wird gezahlt, dann darf angefasst werden“. Das machte mich viel sicherer und selbstbewusster im Umgang mit lästigen Männern, auch privat.
1989 outete ich mich öffentlich ein einem Magazin und stand von da an auch zu meiner Arbeit. In einer Bar, in der ich gelegentlich nach Feierabend auf einen Drink einkehrt, fragte mich ein Mann nach meinem Beruf. „Sexarbeiterin,“ sagte ich und er griff reflexartig an meine Brüste. Daraufhin griff ich fast genauso reflexartig an seine Kronjuwelen. Nicht sanft sondern sehr bestimmt. Er fiel fast vom Barhocker und fragte empört. „Was soll das?“
„Du hast mir gerade eben an den Busen gelangt“
„Das ist etwas anderes“
„Was ist daran anders?“
Die Frage hat er mir nicht beantwortet. Er zahlte und verliess fluchtartig das Lokal. In der Bar wurde ich danach nie wieder belästigt.
Am 22. Dezember letzten Jahres an einem Anlass, an dem ich als ehemalige Sexarbeiterin eine Geschichte erzählen musste, setzte sich nach dem Essen ein Mann zu mir, um etwas mit mir zu Plaudern. Er rückte immer näher und fragte dann unvermittelt: „Stumpft das das Empfinden nicht ab, wenn man es so oft macht, wie Du es gemacht hast?“
Ich flüchtete unter dem Vorwand, draussen eine rauchen zu wollen. Das Frauengruppe, das sich aus demselben Grund vor der Türe versammelt hatte, wusste schon Bescheid. Man wollte nur noch wissen, was der Typ gesagt hat. Man hätte es mir angesehen, dass mir nicht wohl war neben diesem Tischnachbarn.
Später am Abend als ich an der Tramhaltestelle auf das letzte Tram wartete, kam ein anderer Mann, den ich ebenfalls nicht kannte auf mich zu, ergriff im Schritt meine Hand und wollte mich mit sich ziehen. „Komm wir gehen noch einen trinken“
Er wehrte ab. Er blieb. Er erzählte, dass er von Basel komme, 17 Bier intus hätte und jetzt auf den ersten Frühzug auf Rapperswil warten müsse. Er verstand nicht oder wollte nicht verstehen, dass ich keine Lust hatte, ihm die Wartezeit mit meiner Gesellschaft zu versüssen. Er stieg sogar mit ins Tram, setzte sich neben mich und fuhr eine Station mit. Dann stand er auf gab mir die Hand, ergriff meine, zog mich an sich und versuchte mich zu küssen. Ich stiess ihn weg und Gott sei Dank stieg er dann aus.
Zurück blieb dieses schale Gefühl, das in solchen Situationen immer zurückbleibt und das wohl fast alle Frauen kennen. Diese Frage, wie kann sowas verhindern, wie hätte ich mich noch verhalten können. Fakt ist. Verhindern kann man es nicht, solange es Männer gibt, die es als selbstverständlich betrachten, dass Frauen eine Masse sind über die sie jederzeit nach ihrem Belieben verfügen können.
Anzeigen bringt in einem solchen Fall nichts. Juristisch gesehen, war es keine sexuelle Belästigung, er hat mich ja nicht an Geschlechtsteilen angefasst. Da er betrunken war, wäre auch geltend gemacht worden, dass er nicht voll zurechnungsfähig war.
Vorausgesetzt die Polizei hätte eine Anzeiger überhaupt entgegen genommen. In Gedanken hörte ich schon die Argumente, mit denen sowas abgewiegelt wird. „Nun stellen Sie sich mal nicht so an. Es ja nichts passiert“ usw.
Der Kursleiter eines Kurses für Selbstverteidigung für Frauen hatte mir vor 20 Jahren gesagt.“Die einzige Sprache, die Männer verstehen ist gezielt zuschlagen“. Tue ich auch, allerdings nur verbal oder ich werde ernsthaft körperlich bedroht. Aber hätte ich an diesem Abend zuschlagen sollen. Nein.
Wie die meisten Frauen möchte ich nicht in einer Gesellschaft leben, in der man noch mehr über Gewalt kommuniziert als das eh schon der Fall ist.
Aber ich überlege mir ernsthaft, beim nächsten selbsternannten Gentleman der mir auch nur einen Kuss rauben will, wieder den direkten Griff an die Eier anzuwenden. Ganz Ladylike versteht sich